Kein schlechter Witz, nur ein Megaprojekt Berlins: Der Weiterbau der Stadtautobahn führt im dichtbesiedelten Zentrum zum Verkehrsinfarkt. Wohnhäuser, Bäume und Menschen müssen weichen.
von Michael MerzJunge Welt spezial: Stadtentwicklung, 17.12.2014
Ein sechsspuriger Asphaltwurm schlängelt sich durch den Westen Berlins. Die Stadtautobahn
A100. Relikt einer Zeit, in der Individualverkehr im eigenen Fahrzeug noch als Fortschritt galt. Autofahrer, die heute am Dreieck Funkturm oder in Schöneberg im alltäglichen Stau stehen, blic-
ken mitleidig auf die Wohnhäuser neben der Leitplanke. Hier leben? Nein, danke.
Die A100 – Bausünde des vergangenen Jahrhunderts? Nein, seit Mitte der 90er Jahre frisst sich die Trasse immer weiter. Jetzt kommt sie im Ostteil der Stadt an. Berliner CDU- wie SPD-Politiker und die mit ihnen verbandelten Baulöwen haben zwar schon genug überteuerte und sinnlose Projekte verzapft. Doch Kanzler-U-Bahn, Stadtschloss oder Hauptstadtflughafen sind nicht genug – es geht immer noch wahnwitziger: Berlin, das kleine Los Angeles. Ein sechsspuriger Highway muss her, gefälligst in der gesamten Stadt. Koste es, was es wolle – den größten Brocken zahlt eh der
Bund. Wohngebiete und Freiflächen liegen auf der Opferschale, der Verkehr kann jetzt nur noch dicker werden. Wer braucht eigentlich die A100? Die »Gewerbegebiete im Osten«, meint der ehemalige Stadtentwicklungssenator und neue Regierende Bürgermeister, Michael Müller. Da, wo die A100 hinführen soll, gibt es allerdings keine. Und die Handvoll Einkaufszentren kommt auch ohne klar.
Während also alle Welt über alternative Mobilität in Ballungsräumen nachdenkt und der Klimawandel die Menschheit bedroht, wird im Herzen Berlins eine neue Autobahn gebaut. Irgend-
wann sind die Großprojekte der Hauptstadt selbst für einen schlechten Witz zu absurd.
Benjamin S. ist nicht zum Lachen zumute. Er schaut gedankenverloren aus seinem Wohnzimmerfenster an diesem eiskalten Dienstag Anfang Dezember. Ein paar Stockwerke tiefer brüsten sich Baumfäller mit ihren Muckis. Sie verarbeiten einen uralten Obstbaum nach dem anderen zu Kleinholz. Eine Gartenanlage wird hier in Berlin-Treptow gerade für die Autobahn plattgemacht. Noch am Tag zuvor hatten Anwohner, Pächter und Umweltschützer die Laubenkolonie besetzt. Am Abend räumte die Polizei, jetzt ist von der Anlage schon fast nichts mehr übrig. Wenn Berlin Tatsachen schaffen will, geht das sehr schnell. »Heute ist mir richtig mulmig geworden«, gesteht Benjamin. »Bis gestern dachte ich, die bluffen, aber schon morgens um sieben wurden die Scheiben der Bungalows eingeschlagen, es heulten die Motorsägen.« Die Verantwortlichen säßen einfach
hinter ihrem Schreibtisch und zündeten die nächste Stufe, so käme es ihm vor. »Diese SPD ist ein Albtraum.«
Bereits vor einem Jahr hat der Künstler und Musiker die Kündigung für seine Woh-
nung erhalten. Wie andere Mieter in seinemund dem Nachbarhaus wehrte er sich. Jetzt steht ein sogenanntes Besitzeinweisungsverfahren an, eine Art von »beschleunigter Enteignung«. Denn zwei große Mietshäuser in der kleinen Beermannstraße sollen das Schicksal der Gartenanlage teilen und
Platz für den Bau der Autobahnauffahrt machen. Etwa 150 Menschen waren von der Zwangsmaßnahme betroffen, noch sieben Mietparteien, unter ihnen Familien mit Kindern, harren aus. Auch Benjamin will seine günstige Wohnung nicht aufgeben. »Ich brauche wenig Geld zum Leben, und in das Sanktionssystem Hartz IV will ich nicht rein rutschen«, sagt er. Bis jetzt hat
er einen gültigen Vertrag für die Wohnung, zahlt regelmäßig Miete. Alle Ersatzwohnungen, die Benjamin vom Senat bisher angeboten wurden, seien einfach zu teuer. Jetzt hat er keine Ahnung, wie es weitergehen soll. »Letzten Endes bin ich auch nur so ein Baum, der im Weg steht«, sagt er und
schaut weiter aus dem Fenster.
»Schäbig« findet es Harald Moritz, wie der Senat hier mit den Menschen umgeht. »Das ist nun mal die sozialdemokratische Mieterpolitik.« Moritz steht der A100 schon seit fast einem Vierteljahrhundert im Weg. Obwohl die Piste immer weiter ausgedehnt wird, wirkt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus erstaunlich gut gelaunt an diesem deprimierenden Tag in der Beermannstraße. Er kennt die ganze Litanei aus Mauscheleien, Beschönigungen und Klüngeleien, denen sich die Berliner Regierungskonstellationen hingeben. Immer schafften es die A100-Befürworter, die Autobahn Abschnitt für Abschnitt voranzutreiben. Trotzdem will er weiter »politischen Druck aufbauen, um auf diese falsche Politik aufmerksam zu
machen«.
2009 scheiterte eine Koalition der Grünen mit der SPD vornehmlich an der A100.
Auch Sozialdemokraten hatten Vorbehalte, bis der damalige Regierende, Klaus Wowereit, seinen Posten mit dem Weiterbau verknüpfte und die Zweifler einknickten. Mit breitem Grinsen rammte sein jetziger Nachfolger Michael Müller im Mai 2013 dann einen Spaten in den Boden: Der Bauabschnitt 16, der nun in Treptow Mieter und Kleingärtner vertreibt, startete. Fast 500 Millionen Euro Kosten sind für drei Kilometer veranschlagt. 60.000 Autos sollen die Anschlußstelle jeden Tag passieren. Auf der schon jetzt staugeplagten Elsenstraße zwischen Puschkinallee und Treptower Park rechnet Harald Moritz mit einer Verdopplung des Verkehrsaufkommens. Er habe vor einiger Zeit eine Computersimulation gesehen, die der Senat in Auftrag gab. Darin bewegten sich die Autos mit »intelligenter Ampelschaltung« problemlos fort. »Im Trickfilm lief alles wunderbar«, erzählt Moritz mit süffisantem Lächeln.Der 16. Abschnitt der A100 soll 2022 eröffnet werden. Unzählige Baustellen werden bis dahin für Staus sorgen, die fertige Autobahn wird die Blechlawine weiter verdichten. Der Verkehrsinfarkt in Treptow und Friedrichshain auf der anderen Spreeseite ist programmiert. Mehr Straßen bringen eben mehr Verkehr. Selbst der Senat kann das mittlerweile nicht mehr abstreiten.
Der Nachfolger Müllers als Stadtentwicklungssenator, Andreas Geisel, erklärte im November der Berliner Morgenpost: »Am Ende des 16. Bauabschnitts, an der Elsenbrücke, werden wir ein Verkehrsproblem bekommen«. Seine Lösung: Weiterbauen. Sein Traum: Die A100 bis nach Pankow,
weit in den Nordosten der Stadt. Schon ist der 17. Bauabschnitt in Planung. Am selben Tag, als die Gärten in der Beermannstraße dran glauben mussten, wurde er von SPD und CDU im Abgeordnetenhaus beantragt. Die Autobahn wollen die Koalitionäre dann bis zur Frankfurter Allee in Friedrichshain führen.
»Das wird nochmal ’ne Milliarde kosten«, ist sich Harald Moritz sicher. Bisher ist von der Hälfte die Rede, allerdings stehen einige ingenieurtechnische Meisterleistungen an: Die Spree soll überquert
werden, ein Tunnel unterm S-Bahn-Knoten Ostkreuz muss her, wo dieser endet, weiß keiner zu sagen.Während die Müllers und Geisels dieser Stadt in Sonntagsreden über die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum fabulieren, wird im Hinterzimmer über die Autobahn gebrütet. Im Wahlkampf um den Posten des Stadtoberhauptes sparte Müller das Thema A100 gekonnt aus. Kaum kommt er ins Amt, wird die Drecksarbeit erledigt. Es dauerte wenige Stunden, da bejubelten
schon die Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg den SPD/CDU-Antrag per Pressemitteilung, denn nur so komme »die volle Entlastungswirkung des im Bau befindlichen 16. Abschnitts zum Tragen«. Der Wahnsinn geht weiter, und sollte die A100 irgendwann einmal fertig sein, ist kein Mül-
ler und kein Geisel mehr im Amt.Für den Autobahnexzess gibt es kein Stoppschild. Noch viele Wohnhäuser werden abgerissen, Mieter vertrieben und Bäume aus dem Weg geräumt. »Nun ist es
soweit«, sagt eine in der Beermannstraße vorbeikommende Frau zu Harald Moritz und zeigt auf die Laster, welche gerade die Reste der Gartenanlage abtransportieren.
Der Grüne lässt sich keine Resignation anmerken. Er fühle sich manchmal wie der Rufer in der Wüste, aber »Widerstand gegen diese Autobahn muss einfach sein«.
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