Besetzen!
STADT Das Thema scheint wieder Mobilisierungspotenzial zu besitzen, wie eine Diskussion im Kreuzberg-Museum zeigt
VON CLAUDIUS PRÖSSER
"Wir
müssen Besetzungen wieder salonfähig machen", fordert die Aktivistin am
Mikrofon, und ein Kapuzenträger in der letzten Reihe kichert. "Nein",
kalauert er, "wir müssen die Salons wieder besetzungsfähig machen!"
Von
solchen Pointen abgesehen geht es ziemlich ernst zu auf der
Diskussionsveranstaltung, zu der das Bündnis "Besetzen statt Räumen" am
Samstagabend ins Kreuzberg-Museum geladen hat. Der Aufruf kam ziemlich
kurzfristig, trotzdem ist der Raum unterm Dach mit über 100 Menschen aus
der linken und linksradikalen Szene bestens gefüllt. Das Thema
Besetzungen scheint wieder Mobilisierungspotenzial zu besitzen.
Anlass
der öffentlichen Debatte ist die bevorstehende Zwangsräumung der
letzten Mieter, die in den zum Abriss vorgesehenen Häusern
Beermannstraße 20 und 22 ausharren - dort, wo in einigen Jahren die A100
eine Schneise durch Treptow schlagen soll. Aber es geht um mehr, wie
Moderatorin Samira gleich erklärt. Die transidente Aktivistin von der
Initiative Karla Pappel hält einen Wendepunkt für gekommen: "Der
Wohnungsmarkt ist liberalisiert", sagt sie, "die Mieterstadt wurde
sturmreif geschossen. Für das ärmste Drittel der Bevölkerung wird seit
10 oder 15 Jahren gar nicht mehr gebaut."
Strategien für eine Offensive gefragt
Spätestens
jetzt müsse man sich Gedanken darüber machen, wie man in die Offensive
gehe. Man müsse überlegen, wer an künftigen Besetzungen teilnehmen
könne, sagt Samira: Wohnungslose etwa oder Flüchtlinge. Auf dem kleinen
Podium sitzen neben ihr VertreterInnen von "Zwangsräumungen verhindern"
von Robin Wood und dem Bündnis "Stadt von unten" das für sozialen
Wohnungsbau auf dem Kreuzberger Dragonerareal kämpft. Außerdem einer der
letzten Mieter aus der Beermannstraße 22.
In den
beiden Häusern mit rund 100 Wohnungen seien inzwischen nur noch vier
Mietparteien übrig, berichtet der, in Kürze sogar nur noch zwei. Nach
seinen Berechnungen müsste in zehn bis vierzehn Tagen der
Gerichtsvollzieher bei ihm klingeln. "Wenn dann besetzt werden soll,
kommt es auf jede Person an", sagt er - und wirkt nicht besonders
optimistisch, dass das seinen Rauswurf tatsächlich verhindern könnte.
Aktivistin
Nora von "Zwangsräumung verhindern" hält eine Besetzung der
Beermannstraßen-Häuser für die richtige Symbolik, hat aber einige offene
Fragen: "Ist das wirklich eine Alternative für Wohnungslose? Immerhin
handelt es sich dann ja auch wieder um eine prekäre Situation." Auch sei
"der herrschende Diskurs nicht auf unserer Seite", gibt sie zu
bedenken. Das sehen nicht alle so negativ.
Weitere Häuser sind von Abriss bedroht
Die
beiden Aktivisten von der Umweltorganisation Robin Wood mahnen, dass es
schon in absehbarer Zeit auf dem anderen Spreeufer mit dem Abreißen
weitergehen könnte: Am Markgrafendamm in Friedrichshain stehe ein
Dutzend Häuser, das jetzt schon entmietet sei und irgendwann dem 17.
Bauabschnitt der teuersten Autobahn aller Zeiten weichen müsse. "Es ist
keine gute Idee zu warten, bis die Bagger vor der eigenen Tür stehen",
sagt einer.
In der anschließenden Diskussion
dreht sich vieles um die Begriffe "Penetranz" und "Offenheit". Penetranz
steht für den benötigten langen Atem, Offenheit dafür, dass die neue
Besetzungsbewegung, deren Geburtsstunde hier anscheinend schlägt, ein
größeres Spektrum ansprechen soll als nur den harten Kern der Szene: Der
Angriff auf die Eigentumsverhältnisse funktioniert eben nicht, wenn vor
lauter Sektierertum am Ende nur drei Leute kommen. Oder wie Samira es
ausdrückt: "Wir brauchen eine gesellschaftliche Breite, die die
Gegenseite das Fürchten lehrt."
Viele Ideen
werden in den inzwischen schon recht stickigen Raum geworfen: Eine
Aktionsform, bei der man einzelne Wohnungen besetzt, die teuer vermietet
werden sollen. Hütten bauen wie die Initiative "Kotti und Co". Oder
gleich Hüttendörfer? Ein Squat-Büro, das als Anlaufstelle für Refugees
und andere Wohnungslose dient. Ein Mann aus Treptow-Köpenick zählt
Großimmobilien in seinem Bezirk auf, die seit Jahren leer stehen: das
frühere Werk für Fernsehelektronik in Schöneweide oder das alte
Köpenicker Filmwerk.
Die Unterstützung durch die Szene fehlte
Schon
wieder etwas konkreter ist der Vorschlag, die zeitnahen Aktionen in der
Beermannstraße nicht auf den Versuch einer Besetzung zu beschränken.
Mit dem Park-Center oder dem BKA-Gebäude gebe es ja weitere interessante
Orte in nächster Nähe. Tatsächlich scheinen die meisten skeptisch zu
sein, was die Eroberung der beiden Wohnhäuser angeht. Die Bullen wüssten
doch spätestens jetzt, was man plane, moniert einer.
"Wenn
wir nicht reinkommen, ist das keine Niederlage", variiert die
Moderatorin einen klassischen linken Spruch, "es ist eine Niederlage,
wenn wir es gar nicht erst versuchen." Tatsache sei jedenfalls, so
Samira, dass eine Besetzung "im Stillen" in den vergangenen Monaten
nicht zustande gekommen sei - es habe an Unterstützung durch die Szene
gemangelt. Deshalb nun die Öffentlichkeit. Man werde auf jeden Fall alle
einladen zu kommen, wenn es so weit sei.
Die
gescheiterte heimliche Besetzung war offenbar nicht das einzige
Mobilisierungsproblem: "Wir wollten für den heutigen Abend Verbindungen
zu Flüchtlingen herstellen", sagt Samira, "aber das ist ganz schwierig.
Da befinden wir uns in einem Lernprozess." Konkret heißt das: Es ist
kein einziger gekommen.
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