Im Griff der Bagger
TREPTOW Mauern und Bäume fallen für den Weiterbau der A 100. Im Senat träumt man derweil von einem Anschluss bis nach Pankow
von Claudius Prösser
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bt&dig=2014%2F12%2F08%2Fa0153&cHash=4bee79f67b2f4072fd3a99171f4f2b86
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Die
Bewohner der Beermannstraße 22 in Treptow trauten ihren Augen und Ohren
nicht: Am vergangenen Donnerstag riss ein Bagger mit lautem Krachen
eine Bresche in die seitliche Begrenzungsmauer ihres Hinterhofs.
Anschließend begannen Arbeiter, die Bäume auf dem Gelände zu fällen und
zu zersägen. Weil sie den Bewohnern keine Genehmigung vorzeigen konnten,
alarmierten diese die Polizei. Als die Beamten eintrafen, standen von
sieben Bäumen noch zwei hohe Birken, aber auch für die gab es keine
Rettung. "Wir haben mit der Senatsverwaltung telefoniert, das geht in
Ordnung", sagte ein Polizist, während die Maschine den nächsten Stamm in
die Zange nahm.
Viele Menschen wohnen nicht mehr
in dem Mietshaus, und auch für sie kam die Attacke nicht vollkommen
unerwartet. Die Häuser mit den Nummern 20 und 22 müssen der Verlängerung
der A 100 weichen, die hier in ein paar Jahren unter dem S-Bahn-Ring
durchtauchen und im Bereich der Puschkinallee enden soll. So wie die
Kleingartenkolonie direkt nebenan hat der Bund die Immobilien erworben
und den Senat damit betraut, das Gelände zu räumen. Die Mieter erhielten
Kündigungen. Bis auf sieben Parteien, die sich gegen ihre Vertreibung
wehren, sind inzwischen alle weggezogen. Erst am vergangenen Montag
wurde eine kurzzeitige Besetzung der Kleingärten von der Polizei
beendet.
Micha ist einer von denen, die noch in
der Beermannstraße 22 ausharren, und er ist über das Vorgehen der
Behörden aufgebracht. Die Arbeiter hätten sofort angefangen, die
Fensterscheiben der Lauben zu zertrümmern, um sie unbewohnbar zu machen.
"Eine Kleingartenpächterin, die gegen die Räumung protestiert hatte,
ist zusammengebrochen. Vertreter der Senatsverwaltung standen dabei,
ihnen war das offensichtlich egal." Ihm selbst und den anderen
Hausbewohnern droht ein ähnliches Schicksal. Sie haben Widerspruch gegen
ihre Kündigungen eingelegt, doch inzwischen kümmert sich in der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Enteignungsbehörde um den
Fall. Werde keine gütliche Einigung erzielt, so heißt es von dort, leite
man die "vorzeitige Besitzeinweisung" ein. Das bedeutet: Zwangsräumung.
Auch
der grüne Abgeordnete Harald Moritz ist nach eigener Aussage
"entsetzt". "Es wurden im Vorfeld noch nicht einmal Sicherungsmaßnahmen
zum Schutz der Mieter getroffen", sagt der Verkehrsexperte zu der
Rodungsaktion.
Er kritisiert schon länger, wie die verbliebenen Mieter
unter Umzugsdruck gesetzt werden. Sie erhielten zwar Angebote von
landeseigenen Gesellschaften, sollten sich dann aber innerhalb kürzester
Frist für teurere Wohnungen in anderen Bezirken entscheiden. "Auf ihre
konkrete Situation wird keine Rücksicht genommen." Moritz fragt sich,
warum der Senat nicht einfach die Mietdifferenz übernimmt: "Dieser
Abschnitt der A 100 kostet eine halbe Milliarde, und das Land trägt
davon immerhin 20 bis 25 Millionen an Planungskosten. Da sollen die paar
Tausend Euro nicht drin sein?"
Bis tatsächlich
Autos über den heutigen Hinterhof in der Beermannstraße rauschen, werden
noch etliche Jahre ins Land gehen. Offiziell ist die Eröffnung dieses
16. Bauabschnitts für das Jahr 2022anvisiert, aber solche Planungen sind
bekanntlich flexibel.
Zurzeit wird vor allem drei
Kilometer weiter südlich im Bereich der Neuköllner Grenzallee
gearbeitet. Nachdem im Februar dieses Jahres mit der Räumung einer
besetzten Pappel der letzte physische Widerstand gegen das Projekt
erstickt war, wird das Gelände für den Bau eines Tunnel vorbereitet. Die
S-Bahn-Trasse zwischen den Bahnhöfen Neukölln und Köllnische Heide
bekommt eine neue Überführung, die aus einem Stahlwerk bei Wilhelmshaven
per Schwerlasttransport angeliefert werden soll - nicht von ungefähr
ist das ganze Projekt so teuer.
Allerdings: Den
Löwenanteil trägt ja der Bund. Vielleicht fiel es der SPD-Fraktion auch
deshalb nicht allzu schwer, gemeinsam mit dem Koalitionspartner von der
CDU einen Beschluss zu formulieren, der am kommenden Donnerstag vom
Abgeordnetenhaus verabschiedet werden soll. Darin wird der Senat
aufgefordert, sich beim Bund für die Planung des folgenden 17.
Bauabschnitts einzusetzen. Der würde dann irgendwann per Tunnel bis zur
Frankfurter Allee führen.
Ganz ohne Diskussionen
wird es trotzdem nicht gehen. Immerhin ist die SPD-Basis in Sachen
Autobahnausbau völlig gespalten: Der aktuelle Bauabschnitt war einst per
Parteitagsbeschluss und gegen den Willen der eigenen Senatsmitglieder
abgelehnt worden, später wetzte man diese Scharte unter erheblichem
Aufwand wieder aus.
Aber vielleicht sind die
Genossen ja auf den Geschmack gekommen. Der designierte
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel jedenfalls denkt noch weiter. Im
Interview mit der Berliner Morgenpost griff der amtierende
Lichtenberger Bürgermeister ein altes Argument der Ausbaugegner auf, um
es quasi ins Gegenteil zu verkehren: "Am Ende des 16. Bauabschnitts
werden wir ein Verkehrsproblem bekommen", sagte er, und ergänzte: "Wir
können den Stau natürlich nicht immer ein Stück weiter an das Ende der
Autobahn verschieben, deswegen brauchen wir den Weiterbau bis zum
Pankower Autobahnzubringer."
Also gleich noch ein
paar Abschnitte und Betonmilliarden weiterdenken? Da äußert sich dann
auch der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Ole Kreins, eher
vorsichtig. Er selbst, so Kreins, habe sich beim 16. Bauabschnitt von
den Fakten überzeugen lassen, jetzt müsse man erst mal die Planung des
17. Bauabschnitts genauer ins Auge fassen. Autobahnen in der Stadt bei
der Bevölkerung durchzusetzen werde ja immer schwieriger, meint Kreins.
"Wenn der Bund am Ende sagt, das sei alles zu teuer, dann ist das eben
auch eine Aussage."
In der Opposition schüttelt
man nur noch den Kopf ob Geisels Vorstoß. Andreas Baum (Piraten) findet,
Geisels "Zukunftsvision" passe "nicht zu einer Stadt, die eine hohe
Lebensqualität bieten will". Harald Moritz findet das Ganze
"aberwitzig".
Harald Wolf, Verkehrsexperte der
Linksfraktion, spricht von einem "Stück aus dem sozialdemokratischen
Tollhaus". Eine Weiterführung der A 100 bis Pankow sei "eine Fahrt in
die absolute Vergangenheit der Verkehrspolitik, zurück zur autogerechten
Stadt". Geisel ignoriere damit ausgerechnet einen Beschluss des
Lichtenberger Bezirksparlaments, das sich schon gegen einen Weiterbau
zur Frankfurter Allee ausgesprochen habe. Und wenn der rot-schwarze
Senat vom Bund weiterhin die Finanzierung milliardenschwerer
Autobahnabschnitte fordere, sei das, so Wolf ironisch, "eine prima
Vorlage bei der Diskussion um den Länderfinanzausgleich".
Den
Mietern in der Beermannstraße 22 hilft diese Debatte jetzt nicht mehr,
aber sie haben selbst Ideen. Micha hat schon mehrere Politiker
angeschrieben und vorgeschlagen, aus dem fast völlig entmieteten Haus
mit der Nummer 20 wenigstens temporär eine Flüchtlingsunterkunft zu
machen. "Man muss es nur wollen", sagt er, "im Gegensatz zur 22 ist da
alles saniert, die Heizungsanlage ist neu, es wäre sofort beziehbar."
Wozu Containerdörfer bauen, wenn anderswo Mietshäuser mit Wohnungen noch
jahrelang genutzt werden könnten, fragt er.
Auch
Sozialsenator Mario Czaja (CDU) hat er den Vorschlag unterbreitet, eine
Antwort stehe noch aus. Für den flüchtlingspolitischen Sprecher der
Piraten, Fabio Reinhardt, ist eine solche Zwischenlösung zwar
gesamtstädtisch betrachtet "ein Tropfen auf den heißen Stein". Er findet
es aber "gut, dass sich Leute Gedanken machen" - und prüfen könne
Czajas Senatsverwaltung den Vorschlag ja in jedem Fall.
Wozu Containerdörfer bauen, wenn anderswo Mietshäuser jahrelang leer stehen?
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