Donnerstag, 30. Oktober 2014

Berliner Zeitung 30.10.2014

VERLÄNGERUNG DER STADTAUTOBAHN 
Senat wird für den Ausbau der A 100 Wohnungen räumen lassen

Berlin –  Für die Verlängerung der A 100 werden Häuser abgerissen. Am Freitag läuft die Räumungsfrist ab. Die meisten Mieter haben sich schon neue Wohnungen gesucht, einige wenige harren aus. In letzter Konsequenz wird der Senat die Wohnungen räumen lassen.

Die beiden Häuser in der Beermannstraße 20 und 22 gleich neben der S-Bahn in Treptow sehen trostlos aus. Viele Fenster im Erdgeschoss sind mit Sperrholzplatten gesichert. Die Vorgärten sind verwildert und die Protestschilder in den Etagen darüber mit einem durchgestrichenen Autobahnschild A 100 längst ausgeblichen. Aus einem Fenster hängt noch ein Lammfell, vielleicht hat es ein ehemaliger Mieter vergessen. Auf der Straße stehen Umzugsschilder, ein weiterer Bewohner zieht am Sonnabend aus.
Denn die beiden Häuser in der Beermannstraße will der Senat abreißen, damit er die A 100 von Neukölln zum Treptower Park verlängern kann. Die Wohngebäude stehen im Weg, mitten auf der Trasse.


Unbezahlbare Wohnungen

Von den 110 Wohnungen sind laut Senat noch sieben bewohnt. Die meisten Mieter haben sich schon neue Wohnungen gesucht, einige wenige harren aus. Benjamin S. zählt dazu. Er möchte seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Seit acht Jahren wohnt er im Hinterhaus der Nummer 22. Und er wirft dem Senat vor, sich zu wenig um die Mieter gekümmert zu haben. „Ich bin selbstständiger Künstler, ich leite einen Chor, ich bin Organist in der Kirche hier. Und die Wohnungen, die mir für einen Umzug angeboten wurden, waren für mich unbezahlbar“, sagt Benjamin S. Etwa 950 bis 1000 Euro verdient er im Monat.

Künstler, Maler, Musiker – Benjamin S. soll seine Wohnung in der Beermannstraße räumen, weil der Senat es will. Ein Ersatzquartier hat er nicht. Foto: Akud/Lars Reimann



Seine Einnahmen sind unregelmäßig, so dass ihm das Wohnungsamt schon zu Bedenken gegeben hat, dass seine Einkünfte nicht ausreichen, um davon zu leben. Ein Antrag auf Wohngeld ist schon seit einem halben Jahr nicht bewilligt. Derzeit zahlt er eine günstige Miete von 3,13 Euro pro Quadratmeter kalt. Die neuen Wohnungen sollten zwischen 4,80 bis 5,80 Euro pro Quadratmeter kosten, was immer noch wenig ist. Ebenso die Gesamtmiete von 440 bis zu 570 Euro. Das sei zu teuer für ihn, sagt Benjamin S.

Lange wird er in der Beermannstraße nicht mehr wohnen können. Schon vor einem Jahr hat der Senat allen Mietern fristgerecht gekündigt und Umzugshilfen angeboten. Die verbliebenen Mieter werden zwar noch geduldet, aber das Land fährt inzwischen eine harte Linie: Nachdem meist dutzende Wohnungsangebote unterbreitet wurden, habe man den Mietern die Frist gesetzt, bis 31. Oktober 2014 die Wohnungen zu verlassen, sagt Petra Rohland, Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD).

In einem Schreiben wird den Mietern angedroht, dass man die „vorzeitige Besitzeinweisung und die Enteignung des Mietrechts“ beantragen werde. Juristisch ist das vergleichbar mit einem Enteignungsverfahren, an dem am Ende die Räumung aus der Wohnung steht.

Mit dem kurzfristigen Ultimatum hat Benjamin S. nicht gerechnet. „Am meisten ärgert mich, dass Herr Müller sich als Anwalt der Mieter hinstellt und mit brutalen Methoden gegen uns vorgeht“, sagt er. Tobias Trommer vom Aktionsbündnis „A 100 stoppen!“ berichtet, dass viele Bewohner wegen des Drucks durch den Senat nachts nicht schlafen könnten, manche auch psychische Probleme hätten.

„Es wäre fair, den Mietern eine Entschädigung zu zahlen, damit sie eine teurere Miete in den nächsten Jahren finanzieren können.“ Eine Familie mit drei Kindern habe noch keine Ersatzwohnung, andere seien nach Brandenburg gezogen, weil sie sich Berlin nicht mehr leisten könnten.

Senat duldet keinen Zeitverzug

Petra Rohland weist die Vorwürfe der verbliebenen Mieter zurück, der Senat hätte sich nicht gekümmert. Benjamin S. hätte 37 Wohnungsangebote bekommen, alle hätte er abgelehnt. „Es sind gute Wohnungen, oft zwei Zimmer mit Balkon“, sagt sie. Es stimme nicht, dass sie unbezahlbar wären. „Der Mieter sieht nur seine Einzelinteressen.“ Die A 100 ist ein Großprojekt.“

Der Senat duldet keinen Zeitverzug mehr. Er will spätestens im Frühjahr 2015 mit dem Abriss der Häuser beginnen. „Wir müssen unseren Zeitplan einhalten“, sagt Petra Rohland. Eine Verständigung mit der Familie in der Beermannstraße erwartet sie im November, für die anderen Mieter werde mit Ablauf der Frist das Verfahren bei der Enteignungsbehörde beantragt.


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